Cultural Appropriation und ‚ursprüngliche Kultur‘

Heute wird es wieder etwas inhaltlicher. Seit ich in Indonesien bin beschäftigt mich nämlich das Thema Cultural Appropriation auf einer neuen Ebene.

 

Für alle, die sich weniger mit solchen Themen beschäftigen. Cultural Appropriation bezeichnet die Aneignung kultureller Güter oder Praktiken durch Menschen anderer Herkunft. Konkret kann das sehr viel sein, etwa wenn Europäer sich in buddhistischer Meditation üben oder auch Kleidung im Ethnostil mit nepalesischen Stickereien tragen. In jedem Fall wird dabei etwas aus dem kulturellen Kontext, in welchem es entstanden ist, heraus genommen und meist ohne das Verständnis für die volle kulturelle Bedeutung oder sogar komplett sinnentleert als Modeerscheinung genutzt. In der Regel wird natürlich auch nicht nachgefragt, ob diese Nutzung für die eigentlichen Mitglieder der jeweiligen kulturellen Gemeinschaft in Ordnung ist.

 

Es ist daher wohl nicht verwunderlich, dass viele Menschen diese kulturelle Aneignung wütend macht. Sie möchten nicht, dass etwa aus Kleidung mit tiefer religiöser oder kulturhistorischer Bedeutung ein süßes Accessoire für privilegierte weiße Mädchen gemacht wird. Ein weiteres Beispiel sind Tattoos. Ich meine mich zu erinnern, dass es unter Maoris vor einigen Jahren zu lauten Protesten kam, als sich ein bekannter Popstar ein Tattoo stechen ließ, dass deren Stil nicht nur imitierte sondern tatsächlich eine Bedeutung hatte, ohne das besagter Star ein kulturelles Anrecht auf dieses Tattoo gehabt hätte.  Aus Respekt vor Menschen anderer Kulturkreise bietet es sich daher oft an, nicht ungefragt deren Kleidung, Schmuck und Handlungen zu kopieren.

 

Daher bin ich auch nach Bali mit der Einstellung gekommen, den respektvollen Abstand zu wahren, den ich als Fremde zu deren kulturellen Ausdrucksformen haben sollte. Nur habe ich dabei nicht mit den Balinesen gerechnet.

 

Sicherlich, die eine oder andere Grenze gibt es in dieser Hinsicht auch hier. So sind die inneren Bereiche der Tempel etwa für Touristen nicht geöffnet – in meiner Eigenschaft als Studentin einer indonesischen Universität hingegen, werde ich wohl dennoch mindestens einmal hinein kommen. Doch gerade was die Kleidung angeht, existieren solche Vorbehalte nicht.

 

Ganz im Gegenteil, ist es sogar so, dass ich traditionelle Kleidung, bestehend aus Sarong, Kebaya und Selendang brauchen werde, um an verschiedenen offiziellen Veranstaltungen der Uni teilzunehmen. Erwähnenswert ist dies insofern, als diese Regel nicht immer auch für die indonesischen Studierenden gilt.  Von denen wird außerhalb hinduistischer Zeremonien nämlich dunkle Hose und Langarmbluse/Hemd erwartet.

 

Auch außerhalb der Uni habe ich bisher keine*n Balinese*in getroffen, der*die in dieser Hinsicht Vorbehalte geäußert hätte. Ganz im Gegenteil, es scheinen alle immer sehr darauf bedacht, mir möglichst viel Einsicht in den kulturellen und religiösen Alltag auf Bali zu geben und ich werde immer wieder ermuntert, daran teilzuhaben.

 

Auf meine Nachfrage im Seminar hatte eine meiner IB-Dozentinnen darauf eine wirklich spannende Antwort. Sie meinte, dass jede Gesellschaft ihre kulturellen Praktiken für besonders und wichtig hält. Jedoch ist nicht nur die Verfügungsgewalt über eben diese eine Frage von Macht sondern eben auch deren Vermittlung an andere.

 

Durch die Kolonialherrschaft sowie die heute wohl überall auf der Welt spürbare kulturimperiale Dominanz des globalen Nordens und insbesondere der USA, sind die dafür typischen Dinge von Jeans über Hip Hop bis McDonalds auch auf Bali präsent. Gleichzeitig haben Balinesen kaum die Möglichkeit ihr kulturelles Erbe in der gleichen Form zu vermitteln.

 

Dabei konnte Bali lange  nicht einmal darüber frei verfügen. Die Kolonialherren kamen zu ihnen, zwangen sie, mehr Kleidung zu tragen, schufen einen Staat, etablierten die indonesische Sprache und gestalteten alles nach ihren Vorstellungen. Dann bemerkten sie den wissenschaftlichen Wert kultureller Vielfalt und machten Bali in den 1920ern zu einem kolonialen Freilichtmuseum. Plötzlich durfte nur noch Balinesisch statt Indonesisch gesprochen werden, die Kleidung musste wieder weniger werden, man durfte in der Schule weder Naturwissenschaften noch Fremdsprachen lernen, sondern nur traditionelle Künste. Zudem wurden neue kulturelle Praktiken quasi erfunden (zum Beispiel neue Adelstitel und das Verbot der Interkastenheirat, das auf Bali bis dahin unbekannt war).

 

Daher ist kulturelle Selbstbestimmung auf Bali nach seiner Zeit als ‚Folklore-Zoo‘ ein verständlicherweise problematisches Thema. Schließlich ist manches von dem, was heute balinesisch ist, von den eigenen Unterdrückern erfunden und gleichzeitig bleibt der westliche Einfluss bis heute, wenn auch in anderer Form dominant.

 

Meine Lösung wird daher eine recht simple sein. Ich werde zuhören. Solange mir Menschen sagen, dass es sie sogar freut, wenn ich einen Sarong anziehe, werde ich das tun. Sobald die Gefühle sich ändern, werde ich es nicht mehr tun. In jedem Fall habe ich gelernt, dass cultural appropriation mehr Dimensionen hat, als ich erwartet habe.